Eröffnungsrede Demo „Rettet die Wagenplätze“
Moin – schön, dass ihr alle gekommen seid, schön, dass wir so viele sind!
Wie schön, nach dem langen Lockdown und den Kontaktbeschränkungen jetzt wieder so viele bekannte und auch unbekannte Gesichter zu sehen! Und doch ist der Anlass aus dem wir uns heute hier versammelt haben kein besonders schöner… denn die Wagenplätze rund um Witzenhausen sind von Räumung bedroht!
Wie ihr vermutlich wisst, gibt es rund um Witzenhausen auf Freizeitgrundstücken und Streuobstwiesen mehrere Wagenplätze – manche sind groß, wie „Der Hang“, das „Gleis 3“, die „Hagebutze“ oder die „Urtica“. Andere Plätze sind eher klein, an manchen Orten stehen nur einzelne Wägen.
Insgesamt sind es rund 50 Menschen, die auf den Wagenplätzen leben – die meisten dauerhaft, andere haben noch ein Zimmer in der Stadt, verbringen aber den Großteil ihrer Zeit in den Wägen.
Um die Möglichkeit des Lebens in Bauwagen und Tiny Häusern rund um Witzenhausen zu eruieren und Wege der Legalisierung zu finden fanden im Sommer mehrere Gespräche zwischen Parteivertreter*innen, dem Witzenhäuser Bauamt und der IG Wagenleben – als Zusammenschluss der Wagenplätze – statt. Dies führte schließlich dazu, dass die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Witzenhausen beschloss, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben, welche ermitteln sollte, wo und in welchem Rahmen die Möglichkeit des Lebens in Tinyhäusern und Bauwagen rund um Witzenhausen möglich und legalisierbar sein könnte.
Bis zum Abschluss der Machbarkeitsstudie, so die Zusage der Stadt, würde es keine Rückbauaufforderungen, Räumungstitel, Zwangsgelder, etc. geben.
Doch nun gab es vergangenen Dienstag die große Überraschung – ein Antrag der FPD auf Räumung der Wagenplätze, den wir auf Grund seiner (so dachten wir) abenteuerlich bescheuerten Argumentation – man mache sich unter anderem Sorgen, uns könne der Wolf fressen – für absolut unbeschließbar hielten – wurde vom Witzenhäuser Bauausschuss angenommen. Und die Fraktionsführenden von CDU, FDP, SPD und der LINKEN verkündeten, dass sie auch in der heute stattfindenden Stadtverordnetenversammlung für den FPD-Antrag stimmen würden.
Wenn heute für den Antrag gestimmt wird kann das für uns Rückbauaufforderungen, Gerichtsprozesse, Strafzahlungen und letzten Endes Räumung durch die Polizei bedeuten.
Wir verstehen es nicht. Welchen Sinn hat es, erst eine Machbarkeitsstudie mit Kosten im fünf-stelligen Bereich zu beauftragen, uns dann zuzusichern, das bis zum Abschluss der Studie nichts zu befürchten ist, und dann doch einfach für Räumung zu plädieren?
Grade auch die SPD äußerte sich nach dem Beschluss zur Machbarkeitsstudie im Sommer 2020 äußerst positv und optimistisch:
Ein SPD-Fraktionsmitglied sagte beispielsweise, „er finde es großartig, dass Witzenhausen offensiv an eine Problemlösung herangeht und entsprechend dem Baugesetz nach Lösungen und Wegen des planungsrechtlichen Umgangs sucht. Witzenhausen gebe einer Lösung eine Chance – das mache ihn stolz.“
Ebenfalls von der SPD-Fraktion kam die Bewertung der „Studie mit den Vorschlägen, wie z.B. das „grüne Band“ sowie andere Vorschläge für bauliche Veränderungen als besonders positive Anregungen zu Entwicklungsmaßnahmen.“
Was ist nun in dem letzten Jahr geschehen, dass die Genoss*innen von der SPD eine solche Kehrtwende vollzogen haben?
Die so hoch gelobte und mit Stolz besetzte Studie ist noch nicht abgeschlossen, und doch sieht die SPD die Notwendigkeit, Räumen zu lassen.
Die Vermutung liegt nahe, dass das vielleicht an poltischem Kalkül und Koalitionszugeständnissen liegen könnte. Die Befürwortung der Räumung als Preis für die Unterstützung eines SPD-Bürgermeisters durch die CDU? Wenn das Motivation der SPD sein sollte, dann fragen wir uns: Läuft so Lokalpoltik? Beziehungsweise: Sollte Lokalpolitik so laufen? Wo es doch eigentlich eine Mehrheit für den Versuch der Legalisierung von Wagenplätzen gäbe.
Wir wissen, dass die Legalisierung von Wagenplätzen, grade im Außenbereich, nicht einfach ist. Aber wir wissen auch, dass es möglich ist!
Uns ist klar, dass es Konzepte zur Abwasserbehandlung braucht – mit Schilfkläranlagen ist das kein Problem!
Menschen machen sich sorgen, das wir keine Klos haben – Aber wir haben absolut umweltfreundliche und nachhaltige Komposttoiletten!
Wir sind uns bewusst darüber, dass Brandschutz ein relevantes Thema ist! …aber da gibt es die Möglichkeit über den Bau von Löschteichen, Wendeplatten für die Feuerwehrfahrzeuge und die Abnahme der Öfen für Sicherheit zu sorgen!
Und wir wissen auch, dass es für eine Nutzungsplanänderung im Außenbereich besonderer Gründe bedarf. Die lassen sich zu Hauf finden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Möglichkeit der Legalisierung mit aktuellem Baurecht möglich ist, aber von der Bereitschaft der Kommunalpoltik, Lösungskonzepte und Änderungsanträge gemeinsam mit uns zu erarbeiten und durchzusetzen, abhängt.
Diese Bereitschaft gab es letztes Jahr. Bei uns ist die Bereitschaft dazu nach wie vor da, und wir hoffen, dass sich diese Bereitschaft auch bei den Witzenhäuser Parteien, allen voran der SPD, wieder einstellt.
Und unabhängig von Bürokratie, Baurecht und Poltik darf auch der eigentlich ganz simple, banale und doch so wichtige Aspekt nicht vergessen werden:
Die Witzenhäuser Wagenplätze sind selbst geschaffene und geliebte Zuhause für sehr viele Menschen!
Wir leben dort gemeinschaftlich, zukunftsorientiert, nachhaltig, umweltbewusst, selbstbestimmt und glücklich – und wir wollen dort auch weiter so leben können. Wir haben diese Lebensform selbst gewählt und gerade in Zeiten des Klimawandels braucht es neue Ideen, Versuche, Schritte hin zu einem nachhaltigeren, ressourcen- und umweltschonenderen Leben. Wir sind auf dem Weg dorthin – liebe Politik, liebe SPD, kommt mit!